Georg Trakl (1887-1914)
Trotz eines kurzen Lebens und eines schmalen Werkes zählt Georg Trakl zu den bedeutendsten Repräsentanten der deutschsprachigen Lyrik des 20. Jahrhunderts. Seine wichtigsten Lebensstationen waren Salzburg, Wien, Innsbruck und zuletzt die Kriegsfront in Galizien.
Georg Trakl wurde am 3. Februar 1887 als fünftes von sieben Kindern im Schaffner-Haus am Waagplatz in Salzburg geboren. Seine protestantischen Eltern – der Vater war Deutsch-Ungar, die Mutter böhmischer Abstammung – waren 1879 aus Wiener Neustadt nach Salzburg zugewandert. Der Vater war erfolgreicher Eisenwarenhändler, er konnte 1893 ein eigenes Geschäft am Mozartplatz eröffnen, wohin auch die Familie übersiedelte. Die Erziehung der Kinder lag vor allem in den Händen einer katholischen elsässischen Gouvernante, die sie mit der französischen Sprache vertraut machen sollte. Das kulturelle Interesse wurde durch Theaterbesuche gefördert. Die Kinder lernten auch Klavier spielen; Trakls jüngste Schwester Margarethe (Grete) sollte es beinahe bis zur Konzertpianistin bringen.
Sowohl Volksschule als auch Gymnasium lagen in der Altstadt, nicht weit entfernt vom Elternhaus. Als Schüler war Trakl zunächst unauffällig, bis es am Ende der Unterstufe in der Zeit der Pubertät zu einer ersten Krise kam: Er musste die vierte Klasse wiederholen und verlor allmählich das Interesse an der Schule, reagierte mit Trotz und Gleichgültigkeit und betonte seine literarischen Interessen. Die Beschäftigung mit Nietzsche führte zunächst zu einem ästhetizistischen Kunstverständnis. Er schrieb Gedichte mit teilweise provokantem Inhalt und trug sie seinen Mitschülern vor. Als er auch die siebte Klasse wiederholen sollte, verließ er die Schule und entschloss sich, Apotheker zu werden, damals der einzige akademische Beruf, für den die Matura nicht Voraussetzung war.
Dafür erforderlich war jedoch ein dreijähriges Praktikum, das Trakl in der „Apotheke zum weißen Engel“ in der Linzergasse absolvierte (1905-1908). Es fiel ihm nicht leicht, mit Kunden umzugehen, er verkehrte zunächst lieber mit Gleichgesinnten in einer Dichtervereinigung namens „Apollo“ bzw. „Minerva“, von der er sich aber bald distanzierte. Der lokal erfolgreiche Dramatiker Gustav Streicher vermittelte die Aufführung von zwei Einaktern am Salzburger Stadttheater. Der zweite, „Fata Morgana“, war jedoch ein Misserfolg und Trakl vernichtete alle Textbücher. In der Folge erschienen aber doch die ersten Prosatexte in einer lokalen Zeitung.
Dem Thema „Drogen“ war Trakl sowohl in der Familie (die Mutter nahm Opium) als auch in der Schule und in der Literatur begegnet. Die Tätigkeit in der Apotheke erleichterte ihm den Zugang dazu (Veronal, Opium, später auch Kokain). Er entwickelte einen antibürgerlichen Lebensstil, zu dem auch die Lektüre der Zeitschrift „Die Fackel“ von Karl Kraus gehörte, in der zu dieser Zeit vor allem die bürgerliche Scheinmoral thematisiert wurde. Auf langen Spaziergängen, alleine oder mit Freunden, formte er ein Weltbild, in dem der Riss zwischen träumerischer Anschauung und bedrängender Wirklichkeit immer weniger zu überbrücken war.
Das wurde Trakl besonders deutlich, als er 1908 zum Studium der Pharmazie nach Wien ging. Er fühlte sich in der Großstadt bedroht. Das innere Chaos wurde ihm jedoch ein wichtiger Antrieb zum Schreiben, mit dem es gebändigt werden sollte. Die Texte hatten daher zunächst privaten Charakter und orientierten sich weniger am traditionellen Verständnis der Natur- bzw. Erlebnislyrik. Seine Schwester Grete begann zur gleichen Zeit eine Ausbildung an der Musikakademie, die sie jedoch frühzeitig abbrach. Beider Lebensentwurf – Georg als Dichter, Grete als Pianistin – drohte bereits jetzt zu scheitern. Sein Naheverhältnis zu ihr drückt sich in inzestuösen Bildern mancher seiner Gedichte aus. Dass er sie mit Drogen bekannt gemacht hat, trug zum Verhängnis beider bei.
Ein Jahr später folgte ihm sein Schulfreund Erhard Buschbeck nach Wien. Dieser verstand es Verbindungen herzustellen und versuchte, Trakls Gedichte bekannt zu machen, was dem Dichter selbst kein nennenswertes Anliegen war. Durch ihn lernte Trakl auch wichtige Vertreter der „Wiener Moderne“ kennen wie Adolf Loos, Arnold Schönberg und Oskar Kokoschka. Die hier entwickelten neuen Kunstformen waren für sein Schreiben ebenso wirksam wie die Beschäftigung mit dem französischen Dichter Arthur Rimbaud. In der vom „Akademischen Verband für Literatur und Musik“ herausgegebenen Zeitschrift „Der Ruf“, einem wichtigen Dokument des österreichischen Frühexpressionismus, veröffentlichte er mehrere Gedichte.
Im Sommer 1910 schloss Trakl das Studium mit dem Titel eines „Magistrum artis pharmaceuticae“ erfolgreich ab, war also Apotheker. Zur selben Zeit starb jedoch sein 73-jähriger Vater, wodurch sich die materiellen Umstände wesentlich verschlechterten. Das Geschäft wurde nur unzulänglich weitergeführt und musste nach drei Jahren aufgelöst werden. Geldsorgen ließen Trakl jetzt nicht mehr los.
Zunächst absolvierte er das Einjährig-Freiwilligen-Jahr in Wien; die literarische Produktion blieb dabei gering. Anschließend arbeitete er kurz in Salzburg in seiner Praktikums-Apotheke und traf sich mit Gleichgesinnten in der „Literatur- und Kunstgesellschaft Pan“, darunter auch mit dem „Fackel“-Beiträger Karl Hauer. Geldsorgen verbanden beide und Trakl verkaufte ihm später manche seiner Lieblingsbücher: Werke von Dostojewskij, Nietzsche, Rilke, Wilde, Shaw und Schnitzler. Für die minderjährige Grete, die zur musikalischen Ausbildung nach Berlin gegangen war, übernahm er wegen ihrer beabsichtigten Heirat mit Arthur Langen zusammen mit seiner Mutter die Vormundschaft. Das führte zu familiären Spannungen, die ihm den Aufenthalt in Salzburg verleideten.
1912 wurde ihm eine Stelle in Innsbruck angeboten. Am 1. April begann er die Probezeit an der dortigen Garnisonsapotheke. Zunächst war er unglücklich und trug sich mit Fluchtgedanken. Erhard Buschbeck versuchte ihn jedoch aufzumuntern und stellte die Verbindung zu Ludwig von Ficker, dem Gründer und Herausgeber der Halbmonatschrift „Der Brenner“, her. Als erstes erschien dort bereits in der Nummer vom 1. Mai das Gedicht „Vorstadt im Föhn“, dem noch weitere 64 folgen sollten. Ficker wurde damit zu seinem wichtigsten Förderer. Trakl war willkommener Gast in der „Brenner“-Runde, deren weltanschauliche Debatten nicht ohne Einfluss auf Trakl geblieben sind, insbesondere die Betonung des Ethischen (Christentum) gegenüber dem Ästhetischen (Nietzsche). Ficker gab ihm als väterlicher Freund auch Unterkunft in seinem Haus in Mühlau oder bei seinem Bruder auf der Hohenburg.
Die Tätigkeit in der Garnisonsapotheke ödete Trakl jedoch zunehmend an und er flüchtete nicht selten in Alkohol. Er gab diese Stelle schließlich auf und versuchte 1913 mehrmals, einen Posten im Staatsdienst in Wien zu erhalten. Zwei davon hat er angetreten, die Beschäftigung aber bald wieder abgebrochen, denn sein ganzes Interesse galt dem Dichten. Im selben Jahr erschien, vermittelt von Karl Kraus, Trakls erster Lyrikband „Gedichte“ im Kurt Wolff Verlag in Leipzig. Auf Einladung von Adolf Loos machte er in der zweiten Augusthälfte eine Reise nach Venedig. In Innsbruck hielt er seine einzige öffentliche Lesung. Zu dieser Zeit arbeitete er bereits an seinem zweiten Gedichtband, der mit dem Titel „Sebastian im Traum“ aber erst nach seinem Tod ausgeliefert werden sollte. Als er im März 1914 erfuhr, dass seine Schwester Grete in Berlin eine Fehlgeburt erlitten hatte, besuchte er sie und erlebte dort „furchtbare Dinge“, die ihn völlig verstört nach Innsbruck zurückkehren ließen. Es war das letzte Zusammentreffen mit Grete.
Trakl plante daraufhin, als Apotheker nach Borneo oder Albanien zu gehen; beide Vorhaben scheiterten. Eine großzügige Spende des jungen Ludwig Wittgenstein hätte seine finanzielle Situation wesentlich verbessert, doch er konnte sie wegen des Kriegsausbruchs Ende Juli nicht mehr nützen.
Trakl meldete sich beim Militär und wartete im August 1914 auf den Einsatz. Ende des Monats rückte er mit einer Sanitätskolonne an die Ostfront in Galizien ein. Westlich von Lemberg (Lwiw) begegnete er erstmals in der Schlacht von Grodek (Horodok) der Grausamkeit des Krieges. Die österreichische Armee erlitt eine verheerende Niederlage. Trakl hätte ohne ärztliche Hilfe neunzig Schwerverwundete in einer Scheune versorgen sollen – der Anblick war ihm unerträglich. Viele Verletzte baten ihn, ihrer Qual ein Ende zu machen.
Nach einer Selbstmorddrohung wurde er „zur Beobachtung des Geisteszustandes“ in das Garnisonsspital nach Krakau eingeliefert. Als Ficker davon erfuhr, reiste er sofort hin und versuchte, die Entlassung des Freundes zu erreichen. Aber der Chefarzt gab ihn nicht frei, Ficker musste allein abreisen. Trakl fühlte sich daraufhin „fast schon jenseits der Welt“, schrieb einen Testamentsbrief und legte diesem die letzten Gedichte „Klage“ und „Grodek“ bei. In der Nacht vom 3. zum 4. November 1914 führte eine Kokainvergiftung zum Tod durch Herzlähmung. Er wurde drei Tage später auf dem Rakoviczer Friedhof in Krakau beigesetzt, die zweite Bestattung in der Heimat veranlasste 1925 Ludwig v. Ficker. Auf dem Ortsfriedhof von Mühlau bei Innsbruck ist seither Trakls Grab.
Dr. Hans Weichselbaum